Themenbeitrag
Schweizer KMU und Innovationen
«Die Schweizer KMU sind sehr innovativ»
Martin Wörter
Professor an der ETH Zürich, Leiter der Division Innovationsökonomik der Konjunkturforschungsstelle KOF und verantwortlich für die Innovationsumfrage, die alle zwei Jahre bei Schweizer Unternehmen durchgeführt wird
Auch wenn Grossunternehmen oft im Fokus stehen: Es sind die kleinen und mittleren Unternehmen, die die Schweizer Volkswirtschaft ausmachen. 99 Prozent der Firmen hierzulande sind KMU. Den 600'000 KMU stehen «nur» 1600 Grossfirmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden gegenüber. Zwei Drittel der Beschäftigten in der Schweiz arbeiten gemäss Bundesamt für Statistik in einem KMU. «Die KMU sind das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft. Sie sind sowohl bei den Beschäftigungszahlen als auch für die Gesamtwirtschaft treibend», sagt Professor Martin Wörter von der ETH Zürich. Er ist Leiter der Division Innovationsökonomik der Konjunkturforschungsstelle KOF und verantwortlich für die Innovationsumfrage, die alle zwei Jahre bei Schweizer Unternehmen durchgeführt wird.
KMU entscheidend für Spitzenplatz
Erhebungen wie der Global Innovation Index, denen zufolge die Schweiz seit Jahren Innovationsweltmeisterin ist, sind breit gefasst und basieren auf vielen Indikatoren – wie zum Beispiel die Qualität von Hochschulen, die Anzahl der Patente oder das wirtschaftliche Umfeld. Um die Innovationsleistung von Schweizer Unternehmen im europäischen Vergleich genauer einzuschätzen, lohne sich der Blick auf die Eurostat-Auswertungen, sagt Martin Wörter. Auch dort steht die Schweiz an der Spitze. «Die Eurostat-Statistik wird hauptsächlich von KMU getrieben. Grundsätzlich ist die ausgewiesene Innovationsleistung der Schweiz also eine Leistung der KMU. Die Schweizer KMU sind sehr innovativ. Sie leisten einen massgeblichen Beitrag dazu, dass die Schweiz eines der innovativsten Länder der Welt ist.»
Man müsse jedoch unterscheiden – nicht für alle KMU ist die Entwicklung neuer Ideen, Abläufe oder Produkte wichtig, betont Wörter. «Es gibt Unternehmen, die gut wirtschaften, ohne innovativ zu sein. Sie machen immer dasselbe und das konstant gut. Sie müssen nicht das Risiko auf sich nehmen, in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen zu investieren. Ein guter Handwerker ist ein gutes Businessmodell, da braucht es keine ständigen Innovationen.»
Für andere KMU hingegen ist Innovation ein Gründungsfaktor: Das galt vor hundert Jahren genauso wie heute. Je nach Branche und Wettbewerb könne eine Firma nur mit einer neuen Idee überhaupt in den Markt eintreten, Marktanteile gewinnen und diese dann halten. «Aus ökonomischer Sicht ist eine Innovation erst dann eine Innovation, wenn sie erfolgreich am Markt positioniert werden kann», sagt Martin Wörter. Das kann eine Produktneuerung, eine neue Dienstleistung, aber auch eine Prozessinnovation sein.
Wieder mehr Firmen bringen Innovationen hervor
Wie innovativ Schweizer Unternehmen sind, erhebt die KOF alle zwei Jahre. Für die aktuelle Innovationserhebung 2020 wurden rund 9000 Schweizer Unternehmen zu ihren Innovationsleistungen und ihrem Digitalisierungsgrad befragt, zwei wichtigen Pfeilern der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.
In den letzten paar Untersuchungsperioden hatte es eine Konzentration von Innovationsaktivitäten auf weniger Firmen gegeben. Nun stieg der Anteil der Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung (F&E) investieren, erstmals seit 20 Jahren wieder. Der Anteil hat sich von 12,6 Prozent auf 16,3 Prozent deutlich erhöht. Gleichzeitig ist der durchschnittliche Umsatzanteil der F&E-Ausgaben im Vergleich zur Vorperiode konstant geblieben. Die F&E-Ausgaben verteilen sich also wieder auf mehr Firmen in der Gesamtwirtschaft.
Ob das eine gute oder schlechte Entwicklung ist, könne man noch nicht abschliessend beurteilen, sagt Martin Wörter. Wenn einzelne Unternehmen aufhören, in F&E zu investieren, werden die Vorleistungen für F&E günstiger, weil die Nachfrage danach geringer wird. Das könnte die F&E-Produktivität der verbleibenden F&E-aktiven Unternehmen erhöhen. Wenn im Gegensatz dazu viele Firmen innovieren, ist die Nachfrage nach diesen knappen Ressourcen gross, das Angebot wird knapp, zum Beispiel an Fachkräften, welche bereits überall händeringend gesucht werden. «Es ist nicht ganz klar, ob sich der gesamtgesellschaftliche Wohlstand der Schweiz erhöht, wenn der Kreis der innovierenden Unternehmen grösser oder kleiner ist», sagt der ETH-Professor. Die entsprechenden Berechnungen müssten noch gemacht werden. «Es kommt schliesslich aber auch darauf an, was Unternehmen aus ihren F&E-Aktivitäten machen. Entscheidend ist, ob sie die Wettbewerbsfähigkeit für sich und die Schweiz erhöhen oder nicht.»
Hightech-Industrie entwickelt die meisten Neuheiten
Schweizweit am innovativsten sind die KMU in den Hightech-Industrien Pharma, Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Elektronik und Fahrzeugbau. «Um in diesen international orientierten Branchen wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen diese Unternehmen in der Lage sein, immer wieder Innovationen zu entwickeln», sagt Martin Wörter.
Besonders auf den internationalen Märkten der Hightech-Industrie hat sich der Wettbewerb verstärkt. Bei Schweizer KMU in diesem Bereich verringerte sich jüngst der Anteil F&E-aktiver Unternehmen – entgegen dem gesamtwirtschaftlichen Trend. Gleichzeitig gab es mehr Massnahmen, um die Produktionskosten zu senken. Bei den exportorientierten Hightech-Unternehmen stehen zunehmend nicht mehr die Preise im Vordergrund, sondern Faktoren wie «Customization», die häufige Einführung neuer Produkte, der technische Vorsprung und eine hohe Flexibilität für Kundenwünsche. Das verlangt von den Unternehmen grosse Innovationsanstrengungen und damit verbunden ein höheres technisches und kommerzielles Risiko. Einige Hightech-Unternehmen sind wohl als Folge davon aus dem F&E-Markt ausgestiegen und setzen stärker auf Prozessoptimierung, um die Gewinnmargen halten zu können. Dennoch zählen die Firmen der Hightech-Industrien weiterhin zu den innovativsten Unternehmen der Schweiz.
Neben der Ausrichtung auf den internationalen Markt gibt es weitere Faktoren, die über die Innovationskraft eines KMU entscheiden: Wichtig sind auch das Qualifikationsprofil der Mitarbeitenden, die Affinität für Forschung und das Wissen darüber, was an den Hochschulen läuft. Das sei besonders wichtig für Firmen in bestimmten Technologiebereichen, sagt Martin Wörter. Je mehr man sich mit der Arbeit an den Hochschulen auseinandersetzt, desto besser versteht man, woran geforscht wird, und kann eher von diesem Wissen profitieren. So ist der stetige Austausch mit der Hochschule zum Beispiel auch ein wichtiger Faktor für das Nischen-KMU Eskenazi, das Fräsmaschinenzubehör und weiteres Spezialwerkzeug entwickelt.
Fehlende finanzielle Mittel als grösstes Hemmnis
Es gibt verschiedene Hemmnisse und Risiken für ein KMU, innovativ zu sein. «Hohe Kosten und fehlende Eigenmittel sind das grösste Hemmnis, um Neuheiten zu entwickeln», sagt Martin Wörter. «Um innovieren zu können, ist ein KMU in erster Linie darauf angewiesen, wie erfolgreich es gestern gewirtschaftet hat.» Wenn die finanzielle Basis dünn ist, ist es schwieriger zu innovieren. Und diese Basis bricht eher weg, wenn der Preiswettbewerb sehr intensiv ist, betont der ETH-Professor.
Als weiteres Risiko gelten lange Entwicklungs- und Amortisationszeiten: Je länger ein Unternehmen braucht, um mit einer Neuerung Geld zu verdienen, desto höher ist das Risiko. Es ist aber auch wichtig, dass die Entwicklung möglichst radikal ist, dann ist sie nicht mehr so einfach kopierbar. Dies ist besonders wichtig für Schweizer Unternehmen im internationalen Umfeld.
Innovationsförderung als Anreiz, sich aus dem Fenster zu lehnen
Innovationen zu entwickeln braucht Zeit. Die meisten KMU haben mit ihrem Tagesgeschäft genug zu tun und kaum Ressourcen, die sie einfach so freimachen können. Die Förderung von Innovationsprojekten sei wichtig, damit Firmen sich «aus dem Fenster lehnen» und Innovationen entwickeln, sagt Martin Wörter. «Die KMU generieren Neuerungen, welche der Allgemeinheit helfen. Sie tragen mit ihren Innovationen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme bei.» Deshalb sei es bedeutend, dass die KMU auch vom Wissen der Hochschulen profitieren können.
Hier setzt Innosuisse mit ihrem Unterstützungsangebot an. Mit der Förderung von Innovationsprojekten zwischen Forschungs- und Umsetzungspartnern trägt Innosuisse viel zum Wissenstransfer zwischen Forschung und Wirtschaft bei und hilft insbesondere auch traditionellen KMU dabei, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.
Vom Wissenstransfer profitieren sowohl der Forschungs- als auch der Umsetzungspartner, wie das Beispiel der sozialen Innovation durch die lifetime health GmbH zeigt. Und auch Daniel Felber von der Firma Agathon betont, wie hilfreich die Unterstützung durch Innosuisse war. «In einem Projekt eingebunden zu sein hilft, auf eine Innovation / ein Projekt fokussiert zu bleiben.»
Trends und Herausforderungen der Zukunft
Martin Wörter sagt, dass die Herausforderungen für ein KMU zugenommen haben. «Es hat sich in den letzten 20 Jahren einiges verändert – zum einen durch Trends wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit. Andererseits gibt es gerade eine grössere Häufung von Krisen, welche von den KMU mehr Flexibilität fordern, nicht nur im F&E-Bereich, sondern auch in Bereichen wie der Beschaffung.»
Neuerungen im Bereich der Digitalisierung können zu einer Senkung der Produktionskosten führen, ändern aber auch die Anforderungen an das Unternehmen und das Angebot von Dienstleistungen. Durch eine hohe Automatisierung müssen Informationen laufend verarbeitet werden, es braucht neue Qualifikationen. «Gerade für ein kleineres KMU ist es ein grosser Kostenpunkt, wenn es neue Spezialistinnen und Spezialisten einstellen muss.»
Die Erfahrung, dass ihre neuen Dienstleistungen nicht nur Auswirkungen aufs Kerngeschäft haben, sondern auch auf andere Bereiche, hat auch die Firma Agathon gemacht. Das KMU muss aufgrund der neuen digitalen Angebote nun auch seine Marketing-Aktivitäten verstärken.
Ein zunehmend wichtiges Thema ist für KMU auch Nachhaltigkeit und die Frage, wie man Stoffkreisläufe schliesst. «Das ist eine grosse Innovationsaufgabe. Firmen müssen ihr Produkt neu denken, zum Beispiel, was am Lebensende damit passiert oder wie das Produkt länger verwendet werden kann. Das ist nicht nur eine Innovationsaufgabe für ein einzelnes Unternehmen, sondern eine systemische Herausforderung. Zunehmend müssen Firmen mit verschiedenen Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette kooperieren.»